Collective actions
Aus einem Brief von AM an SH vom Juli 2000 (über Aktionen als Poesie unter dem ungewöhnlichen Gesichtspunkt ihrer Selbstfinanzierung):
... In den 1970er und 1980er Jahren haben wir NATÜRLICH unsere «Projekte», die allerdings noch nicht so genannt wurden, selbst bezahlt. Damals gab es keine Stipendien und auch nicht das Wort «Projekt» (ich meine in Bezug auf unsere Aktionen). Auch weiterhin haben wir alles, mit Ausnahme der Aktion «Archäologie des Lichts» bei Rom, selbst bezahlt. Diese Tatsache ist sehr wichtig im Sinne einer Unabhängigkeit von der Gesellschaft in der Ästhetik. Man kann dieses Arbeitsprinzip mit der Poesie vergleichen, wo Dichter auf eigene Kosten das tun, was sie gerne tun möchten. Wenn du dir aber ein Projekt ausdenkst und dafür ein Stipendium beantragst, dann spekulierst du darauf, dass von diesem Stipendium für dich auch noch etwas Geld zum Leben übrig bleibt oder um etwas zu kaufen – etwas, das du AUSSER diesem Projekt gerne möchtest. Du bist also nicht zu 100% an diesem «Projekt» interessiert, sondern das Projekt ist eher eine Zugabe zu dem Stipendium, das für dich eine gewisse materielle Absicherung bedeutet. Dies ist ein ganz anderes Arbeitsprinzip, das sich in den 1990er Jahren durchsetzte. Wenn du dein «Projekt» (ohne es so zu nennen) ganz selbst bezahlst, dann bist du GANZ und AUSSCHLIESSLICH daran interessiert – und nicht an etwas Nebensächlichen – im Unterschied zu der Situation bei einem Stipendium für ein «Projekt». Eine Arbeit, die du auf eigene Kosten realisierst, ist die ENDGÜLTIGE ADRESSE – es ist zu 100% das, was du eigentlich willst – gewissermassen unmittelbar und existenziell, wie andere Menschen davon träumen, sich eine Wohnung, ein Auto, eine Datscha zu kaufen oder ins Restaurant zu gehen. Projekte sind für sie aber lediglich ein MITTEL, um dies zu erreichen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu unserem gewohnten Prinzip, bei dem die Aktionen kein MITTEL, sondern das RESULTAT sind. Heutzutage gilt diese Art oder dieses Prinzip des Arbeitens als dumm, wenn niemand anders – eine Stiftung oder ein Mäzen – sein Geld in das «Projekt» investiert. Das gilt als dumm und MARGINAL. Das Wort «Marginalität» ist ebenso wie das «Projekt» in den 1990er Jahren in Umlauf gekommen, als sich das Arbeitsprinzip wesentlich veränderte. Und es ist sehr schwer, im SPRACHLICHEN FELD diesen «Wind» eines negativen Verhältnisses zu dem früheren Arbeitsprinzip, der seit Anfang der 1990er Jahre weht, zu überwinden. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass gerade eine solche ÜBERWINDUNG der grundlegende Sinn unserer Aktionen seit den 1990er Jahren ist. Also die Behauptung der UNABHÄNGIGKEIT, einer Existenzialität auf der Ebene einer «Architektur» der Lebensweise und Strategie. Die existenzielle «Standardarchitektur» hat tief und beinahe vollständig den Raum der zeitgenössischen Kunst durchdrungen und eingenommen (ich meine die Kette «Projekt-Stipendium (Stiftung)-Geld-Auto (Datscha, Wohnung, Restaurant usw.)»).
Das Problem von Veränderungen in der Strategie der Existenzialität (der «Architektur») und der Zusammenhang zwischen diesen Veränderungen und dem Auftauchen und der Aktualisierung neuer Lexeme im kommunalen sprachlichen Feld, wie «Projekt», «Stipendium», «Marginalität» (anstelle der früheren «Peripherizität») wurde – in der Sphäre der zeitgenössischen Kunst – noch nicht genauer betrachtet. Das sind meines Erachtens tiefergehende und wichtigere Veränderungen und Ereignisse als die «neuen Technologien», «Massenmedien» usw., die lediglich das Resultat sprachlicher Veränderungen und ILLUSIONSORTE sind.
Das Prinzip der finanziellen Selbstabsicherung der Aktionen dauert bis heute an und wahrt deren «Natur der Poesie», indem die Aktionen ihrem Ursprung nach vor allem als poetische bestimmt werden.